… und was das über die letzten 100 Jahre Kampf um Gleichberechtigung aussagt.

Warum habe ich dieses Buch nicht früher gelesen? Ein Klassiker feministischer Literatur. DER Klassiker Literatur.

Es liegt daran, dass ich dachte, er sei altmodisch. Ein Buch aus der Zwischenkriegszeit, wie kann der Inhalt noch aktuell sein?

Doch nun halte ich dieses Werk in den Händen, die wunderschöne, mit Goldelementen verzierte Ausgabe hat mich dazu bewegt, „Ein Zimmer für sich allein“ nun doch endlich zu lesen. Es dauert nicht lange und ich stelle erstaunt fest, dass manche der Argumente und Beobachtungen Woolfs sich nicht so sehr von denen unterscheiden, die Alexandra Zykunov erst vor wenigen Jahren (fast ein Jahrhundert nach Woolf) in ein Buch und dann gleich in noch ein zweites Buch verpackt hat. Zykunov hat sich in ihren Büchern nicht etwa gedanklich auf Zeitreise begeben, sondern durch aktuelle Studien, Fakten und Foren gearbeitet.

Im Grunde sind die Bücher der beiden Autorinnen so verschieden, dass sie kaum vergleichbar sind: Das eine enthält einen Essay, das andere kann als Sachbuch gewertet werden. Das eine legt Wert auf ausgeklügelte sprachliche Bilder, deutet an, überlässt es der denkenden Leserin bzw. dem denkenden Leser, die Grundaussage zwischen den Zeilen herauszulesen. Die andere legt Fakten auf den Tisch, über dem eine dunkle Wolke schwarzen Humors festhängt wie eine Gewitterzelle zwischen Alpengipfeln.

Die beiden zu vergleichen ist also, als würde man Äpfel und Birnen vergleichen wollen. Aber gehören Äpfel und Birnen nicht beide zur Kategorie „Obst“ und haben damit doch etwas gemeinsam?

Beide Autorinnen beschäftigen sich in ihren Büchern – Alexandra Zykunov gleich in zwei Büchern: „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“ und „Was wollt ihr denn noch alles?“ – mit denselben Wahrheiten. Um zu den Äpfeln und Birnen zurückzukommen könnte man sagen: der Kern der beiden Früchte ist überraschend ähnlich.

Virginia Woolf lässt eine ihrer Charaktere darüber reflektieren, was es bedeutet, dass Männer schon immer über Geld verfügt haben, während Frauen lange Zeit darauf verzichten mussten, eigenes Geld verwalten zu können. Heute darf jede Frau in Europa (zumindest vor dem Gesetz) jederzeit in die Bank marschieren und dort oder auch virtuell ein eigenes Konto anlegen. Trotzdem zeigt Zykunov (und neben ihr der Gender Pay Gap), dass Frauen immer noch über weniger Geld verfügen. Das Geld, das beispielsweise einer Teilzeit-arbeitenden Mutter übrig bleibt, muss häufig für Haushaltsausgaben herhalten, während Mann spart, anlegt, investiert.

Ein Stück weiter heißt es bei Woolf:

„All die Denkmäler, Tafeln und Inschriften […] Nichts auch nur ansatzweise Vergleichbares war uns von unseren Müttern hinterlassen worden“

Virginia Woolf. Ein Zimmer für sich allein.

Zykunov schaut nicht auf Denkmäler, Tafeln un Inschriften, sondern, zeitgemäß, auf Wikipedia Einträge. Hier kommt sie zum selben Ergebnis. Wobei – da dürften sich beide einig sein – dies nicht auf den Mangel an Müttern zurückzuführen wäre, die mit ihrem Einsatz die Welt verändert haben.

„Möglicherweise ging es dem Professor, wenn er etwas zu empathisch auf die Unterlegenheit von Frauen pochte, eigentlich nicht um ihre Unterlegenheit, sondern vielmehr um seine Überlegenheit“ schreibt Woolf.

Zykunov legt in „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“ dar, dass wir diesem Machtgefüge immer noch unterliegen, dass der Titelgebende Satz allein ein Beweis dafür ist, dass wir eben nicht gleichberechtigt sind und Männer im Diskurs immer noch danach trachten, die Oberhand zu behalten. „Was wollt ihr denn noch alles“ – impliziert ein „ihr habt ja eh schon alles Mögliche von uns bekommen, seid jetzt lieber still und gebt euch damit zufrieden.“ Mann gibt. Frau nimmt. Wenn das nicht ein immer noch existierendes Machtgefälle entlarvt…

Woolfs titelgebendes Argument, dass eine Frau, eine Autorin, um produktiv arbeiten zu können, ein Zimmer für sich allein bräuchte, findet sich ebenfalls in Zykunovs „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“ wieder. Hier in Form der Kritik am Mental Load, den Frauen tragen. Den trägt in so gut wie jedem zweigeschlechtlichen Haushalt die Frau. Sind Kinder da, gilt es nicht nur, an das Waschmittel zu denken, den Urlaub rechtzeitig zu buchen und den Menüplan für das Abendessen zu erstellen, sondern auch an den Geigenunterricht und den Schwimmkurs zu denken, sich neben den eigenen Sorgen über die der Kinder den Kopf zu zerbrechen und das perfekte Geschenk für den nächsten Kindergeburtstag zu finden.

Worin sich die beiden auch einig sind: Eine Gleichberechtigung zwischen den beiden Geschlechtern ist der beste Weg, um das Ziel zu erreichen. Auch wenn dieses Ziel bei der einen literarisch anspruchsvolle Werke, bei der anderen die geschlechtliche Gleichberechtigung per se ist. Gerade in Zeiten wie diesen kann der Vergleich – wenn auch immer noch zwischen Apfel und Birne – die Augen öffnen, wenn es darum geht zu hinterfragen, wie weit wir in den letzten 100 Jahren in Punkto Gleichberechtigung gekommen sind.

Was sagt ihr dazu?