Es gibt diesen Drang zu schreiben. Ich behaupte, dass alle Kreativ-Schreibende ihn kennen. Der Drang, ein neues Blatt Papier mit Tinte, ein neues Dokument mit Pixelbuchstaben zu füllen.

Es wird die Schreibenden geben, die, einmal angefangen, nicht mehr aufhören. Ich gehöre nicht dazu. Meine Schreibtischschublade ist voller Anfänge ohne Ende. Meine Cloud voller Projekte, die oft monatelang so dastehen, wie sie sind, auf dem Abstellgleiß meines kreativen Schaffens. Wenn endlich wieder eine kräftige Zuglock zur Verfügung steht, hole ich sie heraus – wenn mir nicht gerade ein neuer Anfang in den Sinn kommt.

Mein aktuell längstes Projekt habe ich nicht nur Monate-, sondern jahrelang mit mir herumgeschleppt. Zwischendurch war alles gut, ich arbeitete daran, als hätte ich kein Leben. Dann kamen die langen Pausen und danach war es oft einfacher, Neues anzufangen als mich in Bestehendes einzuarbeiten. Außerdem waren da diese Gedankenblitze und der Drang, sie zu formulieren.

Meine Schreibtischschublade ist voller Anfänge ohne Ende. Meine Cloud voller Projekte, die oft monatelang so dastehen, wie sie sind, auf dem Abstellgleiß meines kreativen Schaffens.

Tipp #1 – der 15 Minuten Trick

Der Freund einer sehr guten Freundin gab mir dann den Tipp: Schreibe einfach 15 Minuten pro Tag, ohne Anspruch an Qualität. Und schon war meine Ausrede „keine Zeit“ genauso haltlos wie „Matsch im Kopf“ (ein Phänomen an einem langen Tag: Endlich zu Hause angekommen feststellen, dass das Guthaben an Gedanken und Konzentration bereits anderweitig verbraucht wurde – ohne unmittelbar folgende Nachricht „Wir haben Ihr Guthaben wie gewünscht aufgeladen…“).

Ich war geneigt, einfach weg zu hören. Was weiß er schon? Naja, von meinem selbstverschuldet überladenen Alltag sicher wenig. Davon, wie man kreative Werke in der vorher festgelegten knappen Zeit erschafft sehr viel. Schon damals, vor ziemlich genau einem Jahr, als er mir den Tipp gegeben hat, war er ziemlich bekannt. Mittlerweile ist er berühmt. Er muss es also wissen!

Womit er vielleicht nicht gerechnet hat, ist mein zwar körperstählendes aber wenig kreativ-inspirierendes sportliches Umfeld mit klar definierten Trainingszeiten, gefolgt vom für mich hohen Stellenwert gesunder, selbstgekochter Nahrung. Und dann wollen die Beine einfach nicht mehr und der Schreibtisch ist eigentlich auch Fernsehtisch, der Bildschirm verbunden mit Netflix und ORF ON und ich schau mir dann lieber seine Auftritte an, als seine Ratschläge ernst zu nehmen (Man könnte diesen Absatz zusammenfassen mit: „Es mangelt mir einfach an Selbstdisziplin“, aber das wäre mir gegenüber echt nicht fair. Ehrlich.)

Jedenfalls hatte ich nun den 15 Minuten Trick und musste widerstrebend zugeben, dass er zumindest einen Versuch wert war. Mal schrieb ich nun 15 Minuten, mal null. Mal waren es läppische fünf, mal 35. Damit schaffte ich schon jede Menge mehr als vorher und mein Roman – DAS Dauerprojekt – kam voran. Aber ich brauchte mehr. Mit diesem Tempo, unterbrochen von zig Nulltagen, würde ich das Romanprojekt an meine Nachkommen vererben wie einen schlecht verzinsten Kredit. (Hurra – wo ist das Haus, das wir dafür bekommen?!)

Und damit kommen wir zu…

Tipp #2 – der Tracking-Trick

Wieder war ich nicht auf der Suche danach, aber der Tipp hat mich gefunden. Vielleicht auch, weil mir wirklich ernst war mit dem Schreiben und ich langsam Begriff, dass meine Lebens- und damit Schaffenszeit enden wollend ist. Also: Roman mit 70 vorstellen und die Lesung mit der Einleitung beginnen: „Ich freue mich, dass ich dieses Werk schon nach 45 Jahren gefühlt harter Arbeit endlich in den Händen halte“? Hm, wenig verlockend. Das ist aber noch nicht der Tipp, das war nur ein weiterer Motivator dafür, mir eine neue Strategie zuzulegen.

Gefunden habe ich sie durch Zufall. Ich wollte etwas ändern, allgemein, mit mir. Mein neuer Job war schon nicht mehr neu, im Sport waren die Fortschritte bedenklich minimal und ich setzte dort an, wo ich in solchen Fällen immer ansetze: Persönliche Weiterentwicklung.

Also, rein in die Tyrolia (lokaler Buchhändler) und ab zu den Büchern, die versprechen, Leben zu retten. Am nächsten Tag startete ich mein sechs Minuten Tagebuch und erfuhr nun Tag für Tag mehr von der größten Macht überhaupt: Die Macht der Gewohnheit (Übrigens ein Buchtitel – das Buch habe ich mir dann auch zugelegt und bin sehr froh darüber)

Jeden Tag musste ich nun in der für tägliche Gewohnheiten reservierten Spalte im Tagebuch ein Kreuz setzen, wenn ich „15 Minuten schreiben“ tatsächlich absolviert habe (neben „Aufstehen, sobald der Wecker klingelt“ und „Guten Morgen und -Abend Kuss für meinen Freund – hat mit dem Schreiben nix zu tun, wäre aber ein Beziehungstipp. Falls ihr in einer Beziehung seid, probiert es aus)

Nun war da eine große Lücke, wenn ich kein Kreuz machen konnte und die sah nicht befriedigend aus.

Eine Weile ging das richtig gut und ich schaffte mindestens 20 Tage im Monat. Kein Witz.

Dann kam die lange Hochzeitsreise (in der ich nun wirklich anderes priorisierte, ich gestehe) und ausgerechnet mit dem Beginn der Reise war das Tagebuch vollgeschrieben.

Schon mal eine Gewohnheit so lala aufgebaut und dann für 30 Tage schleifen lassen? Dann weißt du, wie einfach es war, sie danach fortzusetzen: Gar nicht.

Und so fing ich wieder von vorne an, kaufte ein neues Tagebuch und, fast noch wichtiger: dokumentierte nun jedes Monatsende, wie viele Tage ich geschafft habe (schön bunt) und am Jahresende zusätzlich, wie viele Kapitel ich in wie vielen Schreibtagen geschafft habe. Eigentlich wollte ich auch die Seitenanzahl dokumentieren, aber meine Kapitel sind Einzeldokumente und – genau – lieber 15 Minuten schreiben als Seiten zählen. Durch das Tracking sehe ich, wie viel ich schon geschafft habe, trotz überschaubarem Einsatz. Das motiviert ungemein.

Tipp#3: Rausgehen

Noch so etwas, das die Schreibtischschublade ohne schlechtes Gewissen mit Anfängen füllt: Niemand weiß, was ich, selbsternannte Chemikerin der Worte, hier an meinem Schreibtisch treibe. Die geheimen Versuche bleiben so lange geheim, bis sich ein Verlag erbarmt, ein zufällig das Haus passierender Literaturagent das Talent hinter der dicken Hausmauer erschnüffelt oder die vielen Einsendungen einen Literaturpreis bescheren.

Bis dahin kann sich mein Labor längst selbst aufgelöst haben, in einem mentalen Break-down, weil sich nichts und niemand für das, was ich hier tue, interessiert.

Also beschloss ich eines Tages, rauszugehen. Ich nahm all meinen Mut zusammen, legte den „ich bin eine schüchterne zurückhaltende verschlossene Autorin“-Labormantel ab und machte mich auf den Weg zur erstbesten Veranstaltung der IG Autorinnen Autoren Tirol – ausgerechnet die Jahreshauptversammlung (übrigens der Start von „Wie ich zum Vorstandsmitglied wurde, obwohl ich mir den Aufwand zeitlich nicht leisten kann). Gleichgesinnte, so der Gedanke, würden mir sicher viele Tipps geben können. Außerdem habe ich in einem schlauen Buch gelesen (immer noch die „Persönliche-Weiterentwicklung-Phase“), dass man sich mit Leuten umgeben soll, die das tun und erreichen, was man selbst tun und erreichen will.

Und, Spoiler: So war es (irgendwie) auch. Ich musste mich nämlich zu meinem geheimen Schreibtischlabor bekennen, was mitten unter diesen Leuten, die vielfach ähnlich angefangen haben oder selbst noch in diesem Geheimstadium herumexperimentieren, viel einfacher ist, als es beispielsweise in Form einer Schlagzeile der lokalen Nachrichtenseite zu tun.

Gleichzeitig gibt dieses Bekenntnis aber auch Druck. Es verpflichtet, weiterzumachen. Die Schublade erst dann zuzumachen, wenn alle zur Verfügung stehenden Ressourcen ausgeschöpft sind.

Dabei habe ich noch etwas gelernt: Rausgehen heißt auch, erstmal kleine Texte schreiben und veröffentlichen, die man weder geschrieben noch veröffentlicht hat, weil man eben mit dem anderen, großen Projekt beschäftigt ist. Andere, im Literaturbetrieb bereits verankerte Autoren und Autorinnen kennen Möglichkeiten, Texte unentgeltlich und ganz ohne kritische Jury zu veröffentlichen. Erleichtert habe ich festgestellt, dass es richtig Spaß machen kann, einfach mal anderes zu schreiben und dass das Experimentieren an anderen Textsorten meinem Romanprojekt sogar guttut.

Noch ein Spoiler und damit auch schon (fast) das Ende dieses Beitrags: Während ich dies hier schreibe, köchelt der Roman noch so vor sich hin. Verlagslos aber dafür noch voller Passagen, die dringend korrigiert, um- und neugeschrieben gehören. Aber ich bin auf einem guten Weg – schwöre!

Last but not least ein Bonustipp:

Nimm keine Schreib-Tipps an, die für dich nicht langfristig Sinn machen. Schlage keine Schreib-Tipps aus, die du nicht zumindest kurzfristig ausprobiert hast.

In diesem Sinne: Frohes Schaffen – mögen die Schreibtischschubladen wenigstens voller Enden sein!